2. Brief: Eine Nacht auf dem Nil

Kairo, 27. November 1849
Meine liebe Familie,
Hier sind wir nun im Begriff, unseren zweiten Schritt in den Orient zurück zu legen. Wir verließen Alexandria am 25. um sieben Uhr morgens. Wir fuhren mit einem kleinen Dampfer den Mahmoudia-Kanal hinauf und erreichten um fünf Uhr nachmittags Atfeh. Der Kanal ist völlig uninteressant und der Tag war düster. Ich fühlte mich nicht gut, also blieb ich von Alexandria bis Kairo unten. Wir waren siebzig Leute an Bord eines Schiffes, das für fünfundzwanzig gebaut war, und in Atfeh stürzten Mrs. B. und ich ohne Planke ans Ufer und rannten über das kleine Stück Land, das uns noch vom Fluß trennte, um Plätze auf der Marchioness of Breadalbane zu bekommen, die darauf wartete, uns nach Kairo zu bringen.
Dann erst sah ich den feierlichen Nil fließen, als ein Strahl der untergehenden Sonne durch die dichten Wolken brach und auf das Wasser fiel. Der Wasserstand war immer noch sehr hoch und die Strömung kräftig. Sein feierliches Aussehen rührt nicht von Langsamkeit her, sondern von der dunklen Farbe des Wassers und der immer gleichen riesigen Ebene, die nur hier und da von ein paar Dattelpalmen unterbrochen wird. Gegen sechs Uhr abends fuhren wir weiter, der Mond schien und die Sterne waren zu sehen. Atfeh – Himmel! Was für ein Ort! Stellt Euch ein paar Kegel aus Schlamm vor, etwa fünf Fuß hoch, mit Stroh bedeckt, statt spitz zuzulaufen, darin ein paar runde Löcher als Fenster, ein Kegel etwas kleiner als der Rest, die meisten kriechen das Ufer hinauf und sind in Mulden gebaut – das ist Atfeh und der große Ameisenhügel ist das Haus des Gouverneurs.
An Bord unseres Dampfers gibt es keinen Schlafplatz, aber einen Raum für die Damen, in dem man die ganze Nacht sitzt. Es sind kaum Engländer da und keine Inder, denn glücklicherweise ist nicht die Transitwoche. Unsere körperliche Verfassung hat sich nicht verbessert, denn auf dem Schiff wimmelt es von Kindern, die die ganze Nacht schreien und voller Ungeziefer sind, aber geistig geht es uns besser, denn das Geschrei ist ägyptisches, griechisches, italienisches und türkisches Geschrei, und die Flöhe etc. sind tscherkessische, chinesische und koptische Flöhe etc.
Mr. B. kam die Treppe hinunter und sofort erhob sich zornentbrannt eine türkische Frau, legte ihren schwarzen Seidenschleier an und segelte mit ihren drei Sklavinnen, die sich in weiße Schleier hüllten, in majestätischer Empörung wie die Göttin Juno hinaus. Sie begab sich allen Ernstes für die Nacht an Bord des Gepäckbootes, das uns folgte. Sie war die schönste Frau, die ich je gesehen habe, mehr Sylphe als Juno – außer bei diesem Anlass. Sie trug einen engen Mantel, eine Hose und um die Taille eine Schärpe, als sie bei uns saß. Die Frauen, die während der Abfahrt stand, war eine Braut von der Insel Lemnos, eine dicke häßliche Frau, die mit elf Jahren verheiratet worden war und nun von zwei Dienerinnen – recht sympathische alte Damen mit Turban – zu ihrem Mann nach Kairo gebracht wurde. Die Braut war prächtig gekleidet und wäre schön gewesen, wenn sie nicht wie ein Tier und noch dazu so alt ausgesehen hätte. Ihre Dienerinnen saßen die ganze Zeit rechts und links neben ihr wie zahme Elefanten und ließen sie mit niemandem reden. Sie war mit Diamanten und Perlen übersät und trug eine Jacke aus blauem Samt mit Pelzbesatz über einer anderen aus gelber Seide usw. usw. Die meisten Frauen kauerten die ganze Zeit auf dem Boden und unterhielten sich. Sie wunderten sich sehr über uns und ich wurde ungefähr fünfzig Mal gefragt, ob ich verheiratet sei. Das verdoppelte die Schwierigkeiten; ich verstand nicht, warum man mir so oft sagte: „Aber Sie waren doch in Alexandria in der Oper“ und mir nicht glaubten, als ich nein sagte. Was wir in Oberägypten machen würden, war ein weiteres Problem – und daß wir nicht in einer Karawane reisen würden. Endlich hörten wir sie auf Griechisch sagen, dass wir die Sängerinnen der Oper von Alexandria seien, aber warum sollten wir in Dongola singen? Eine andere Frau äußerte ihre Meinung zum Thema Heirat. Engländerinnen, so sagte sie, heirateten spät, und fünfzehn sei spät. Sie würde ihre Tochter nie später als mit zehn oder zwölf verheiraten und wenn man darüber nachdachte, sollte der Mann höchstens sieben sein. (Übrigens – wir haben gestern eine Hochzeit in Alexandria gesehen, ein Pferd trug das Hochzeitspaar von sechs beziehungsweise sieben Jahren, die Braut ritt hinter dem Bräutigam und vor ihnen her schritten Männer, die mit Singlesticks fochten.
Um zwei Uhr ging der Mond unter und die Sterne kamen zum Vorschein. Um sechs ging der helle Morgenstern Venus auf, dann erschienen drei Pyramiden am Horizont, aber bei mir regte sich kein Gefühl. Vor zehn Uhr gingen wir in Bulaq vor Anker und vor elf Uhr hatten wir Kamele mit unserem Gepäck beladen. Der Afrit lief vor uns her und ließ seinen Kurbasch knallen (es gibt nichts Anmutigeres als den Gang eines Arabers), wir fuhren die große Akazienallee von Bulaq nach Kairo hinauf und kamen schließlich beim Ezbekeyeh und dem Hotel de lʼEurope an.
Diese Nacht hätte ich um nichts auf der Welt missen mögen. Ich habe mich noch nie so amüsiert und noch nie so viel Schönes gesehen.

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