3. Brief: Kairo (H)

Wir hatten eine herrliche Woche in Kairo. Ich wünschte, wir würden länger bleiben. Vor allem die Fahrten (Ritte?) durch die Straßen sind so wunderbar, daß man es nie müde wird. Und dann die vergitterten Fenster, Perlen der maurischen Architektur an jeder Ecke, der Blick hinauf zum blauen Himmel und dem goldenen Sonnenlicht, die Brunnen und Basare, die Straßen sind überdacht, und wenn man über den Kauf eines Paars gelber Schuhe verhandelt, sieht man eine Straßenecke mit einem Bogen in maurischem Stil, und das Sonnenlicht fällt durch die quadratischen Löcher des Daches, das die Straße abschirmt, oder man schaut in einen Innenhof, wenn man einen Teppich braucht, und sieht die Schneider auf Tischen sitzen. Die Wände sind mit Laubsägearbeiten verziert.
Wenn man im Mondschein nach Hause fährt (reitet?), sitzt der Türke im Schneidersitz unter einem niedrigen Bogen, jede Ecke ist schön wie ein Bild, und kein Bild kann einen Eindruck von den Farben geben. Aber man zahlt einen Preis für den Anblick. Eine christliche Hündin hat hier zwei entehrende Namen, und sie kann nicht aus dem Haus ohne ihren Esel, ihren Eseltreiber und mindestens einen Herrn oder anderen Begleiter. Auf die Dauer ist diese Abhängigkeit für eine Europäerin schwer erträglich. Nicht, daß es einem etwas ausmacht, angespuckt zu werden (was mir passiert ist) wegen der Religion, die man liebt, sondern man fürchtet auch, daß sich ein Herr aus der Gruppe durch irgend etwas beleidigt fühlt, denn die Klage eines Engländers beschert dem armen Kerl Peitschenhiebe, was so oft tödlich endet.
Abbas Pascha ist ein so inbrünstiger Mohammedaner, daß er kürzlich alle Christen aus seinen Diensten entlassen hat, die er entbehren konnte, und außerdem 900 koptische Schreiber, die dadurch in die tiefste Armut gestürzt sind.
Gestern sind wir in unsere eigene kleine Kirche im Koptenviertel gegangen. Kruse (1) hielt eine sehr gute Predigt und spendete uns die Sakramente. Man entwickelt ein anderes Gefühl für die Anglikanische Kirche, wenn sie sich in Schlupfwinkeln versteckt, mit dem Teufel ringt und an ihren geliebten Ritualen festhält, als wenn sie sich ungeniert ausbreitet, mit der striktesten Hierarchie der Welt prahlt und die Leute in Versuchung führt, den Dienst an ihr eher als Beruf denn als Berufung zu sehen. Hier fühle ich mich der Kirche eng verbunden, auch wenn ich fürchte, daß sie mit ihrem ins Arabische übersetzten Gebetbuch so gut wie nichts bewirkt.
Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie weh der Anblick der hiesigen Bevölkerung tut. Es scheint wirklich kaum eine Rolle zu spielen, ob ein Abbas oder ein Ibrahim regiert, ein Schwein oder ein Schakal – der einzige Unterschied ist, daß Mohammed Ali ebenso selbstverständlich einen Mord befahl, wie er sein Frühstück verzehrte – es verdarb ihm nicht den Appetit –, während Ibrahim es sogar noch lieber tat – es steigerte seinen Appetit –, und Abbas, der etwas schwächer ist, läßt einen Mann nicht zum Tode verurteilen, sondern zu Peitschenhieben, auf die der Tod folgt. Man braucht sich nicht für Politik zu interessieren, wenn sie eine so geringe Rolle spielt. Je schneller Leute ihren Schmerz hinter sich haben, desto besser. Man begibt sich nach draußen und hat das Gefühl, dies sei das Königreich des Teufels, und schaudert im strahlenden Sonnenschein, denn „dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis“.

Anmerkung der Übersetzerin:
1: Wilhelm Kruse, deutscher Geistlicher, 1825 als Missionar nach Ägypten entsandt.

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