3. Brief: Die Wüste (D)

Ich habe nie etwas so Faszinierendes gesehen wie diesen Weg vom Garten der Städte, dem Summen der Nationen, zu dieser Stadt der Gräber und der Wüste. Man hat Beschreibungen der Wüste gelesen, bis man meint, sie sich genau vorstellen zu können. Aber wenn man in sie hinaus reitet, stellt man fest, daß keine Lektüre einem auch nur den leisesten Eindruck von ihr gegeben hat. „Ein Fluch, ein Fluch“ ist das einzige Gefühl, das einem noch durch den Sinn geht, jedes andere Gefühl ist tot, jede andere Idee ausgelöscht, bis auf diese eine, die im leeren Gehirn auf und ab geht, bis sogar der Anblick der Gräber eine Erleichterung ist. Die Wüste aus der Phantasie ist eine riesige Ebene, in der es immer etwas Tröstliches gibt, mit einem goldenen Himmel und opalfarbenen Horizont. Aber was man dann sieht, ist aufgewühlte Erde, nicht wie von der Vorsehung geschaffen, sondern als sei sie auf andere Weise entstanden und als seien Wolken aus Sand, Wirbelstürme und der Fluch über sie hinweg gefegt und hätten sie zunichte gemacht, hin und her geschleudert, zerfetzt und zerrissen, bis nur noch das übrig war, das man sieht. Ödipus, geblendet vom Blitz, ohne einen Strahl und ohne Augenlicht – daran erinnert sie einen und wir sahen sie erstmals, als die Sonne „ihre glühende Stirn verhüllte“. Der Sonnenuntergang war matt und glanzlos und der Mond nicht silbern, sondern tot und weiß, und eine Reihe schwarzer Hügel im Hintergrund und alles andere standen damit im Einklang. Es ist nicht die Einsamkeit, denn die kann ja auch friedlich sein, aber hier ist sie entsetzlich. Nein! Niemand kann je beschreiben, wie die Wüste ist, auch ich nicht. „Ein Fluch! Ein Fluch!“ ist das einzige, das man ausruft und man denkt an die schöne große Stadt, in der kaum jemand weiß, „wozu er auf die Welt geschickt wurde“ (in Europa gibt es ein paar Leute, die es wissen). Man denkt an die Pharaonen und ihre Macht, an Alexander und die seine, an Mohammed Ali, wie er emporstieg, herrschte und glaubte, man würde ihn den „Zivilisierer des Orients“ nennen – das wäre ein größerer Name gewesen als „Eroberer des Orients“. Und nun ist er noch keine sechs Monate tot und von seinem Schaffen gibt es kaum noch eine Spur – denn niemand versuchte herauszufinden, wozu er auf die Welt geschickt worden war – und die Worte „die Nichtigkeit menschlicher Größe“ brennen sich auf eine Art ins Bewußtsein, wie es eine Predigt niemals schaffen würde. Die Ordensschwestern von Vincenz de Paul gehen immer noch unbehelligt durch die Stadt, und sogar die Mohammedaner segnen sie.

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