3. Brief: Kairo (C)

Und nur einen Katzensprung von seinem prächtigen  Grabmal entfernt liegt der Platz, auf dem die Mamelucken starben. Er zählte sie bei Tagesanbruch, und wo waren sie, als die Sonne unterging? Er ruht nun ganz in der Nähe der ermordeten Stammesfürste,n und die Leute haben den Mord vergessen und preisen Mohammed Ali! Von der Terrasse der Moschee aus hat man eine Aussicht, die ich für die schönste der Welt halte. Das riesige Kairo liegt einem zu Füßen, ein Wald aus Minaretten, Domen und Türmen. In der Ferne zieht der dunkle Nil seine Bahn (zur Zeit führt er Hochwasser), und die drei Pyramiden zeichnen sich scharf vor dem Hintergrund des Himmels ab. Hier haben Osiris und seine Anbeter gelebt, hier schritten Abraham und Moses einher, hierher kam Aristoteles, später lernte hier Mohammed das Beste seiner Religion und studierte das Christentum, hierher brachte vielleicht die Mutter unseres Erlösers ihren kleinen Sohn, um seine Augen für das Licht zu öffnen. Sie sind alle gegangen, aber der Nil fließt und die Pyramiden stehen immer noch hier. Wir reiten wieder in die Stadt hinunter, in der das Leben pulsiert, denn die Araber sind die geschäftigsten Leute der Welt. Man kann sich kaum seinen Weg durch die Straßen bahnen, man rechnet ständig damit, über einen Kind zu stolpern oder von Kamelen niedergetrampelt zu werden – diese gigantischen Tiere lauern hinter jeder Ecke, sobald man sich nähert. Es sind die riesigsten Geschöpfe, die ich je gesehen habe; wo sie sind, gibt es nicht einmal mehr Platz für eine Fliege. Man spricht liebevoll und in perfektem Arabisch mit seinem Esel, man bittet ihn im Namen der Freundschaft, stehen zu bleiben – aber er versteht nur das Arabisch seines Treibers und galoppiert weiter, während man um Haaresbreite an jeder Ecke vorbei schrammt und doch kaum einen Stoß abbekommt.
Man entkommt dieser Stadt mit ihrem Lärm und Durcheinander durch das Tor und – oh! Was für eine wundersame Wandlung von einer Stadt der Lebenden in eine Stadt der Toten. Ich habe noch nie so etwas Schönes gesehen; so weit das Auge reicht, sieht man nur Gräber und außer diesen Straßen der Gräber, auf denen man geht, geht und geht, bis man meint, Amine und den Ghul auf einem bestimmten Grab sitzen zu sehen (man sieht, wie sie ihren Proviant packt), gibt es nichts zu sehen außer der Wüste, dem Himmel und der leblosen Erde, es ist die Vereinigung mit einer anderen Welt – dem „Land im Jenseits“. Und hier muß ich alles widerrufen, was ich gegen die Verehrung des Leibes gesagt habe, gegen den fanatischen Totenkult, für den ich es immer gehalten habe. Ich erkenne wirklich einen Sinn darin, einen leblosen Körper zu umsorgen, ihn auszustellen und dafür zu sorgen, dass er auffällt. Wenn es nicht diese materialistische Art gäbe, eine andere Welt sichtbar zu machen, würden wir sie vergessen, für unsere Natur mit ihrer Empfänglichkeit für Sinneseindrücke ist es nötig, das Ungesehene sichtbar zu machen, das Geistige für die Sinne wahrnehmbar zu machen. Je notorischer und auffälliger die Toten dargestellt werden, desto besser, d. h. ohne daß sie für ihre noch lebenden Mitmenschen gefährlich werden (Ihr wißt, daß die Pest erst ausbrach, als wir anfingen zu beerdigen).

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