3. Brief: Kairo (K)

Gestern hat Dr. Abbott uns seine Antiquitäten gezeigt, er trägt türkische Kleidung und ist mit einer Armenierin verheiratet. Eigentlich hasse ich Sammlungen, aber ich glaube, diese ist unbezahlbar. Cheopsʼ Ring, das Halsband Menes’ I. etc. Nur eine Sache hätte ich wirklich gern verstanden – einen Beerdigungs-Papyrus, aber der ist nie entziffert worden. Ägyptische Romane beginnen offenbar immer mit dem Tod eines Mannes – er stirbt, und auf seinem Begräbnis werden Opfer dargebracht. Dann steht er vor Osiris, der mit seiner Peitsche in der Hand dasitzt, und dem Hund Zerberus (1), und die Wahrheit notiert seine Taten (mit einer Straußenfeder, die ihr Kennzeichen ist), die vierzig Richter thronen in einer Reihe über ihm, jeder mit einem anderen Tierkopf, ein anderer Gott hält die Waagschalen, und seine guten Taten scheinen sehr wenig zu wiegen. Es folgen verschiedene Phasen des Fegefeuers, die er durchleidet, verschiedene Herkules-Aufgaben, bei denen er dieses oder jenes Ungeheuer töten muß. In der letzten Kartusche sieht man ihn, wie er Osiris von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht, aber ob er verurteilt oder freigesprochen wird, konnte ich nicht erkennen. Aber ich habe noch nie etwas Interessantes gesehen als diesen übernatürlichen Roman, diese Romanze jenseits des Grabes – ich wünschte, die Leute würden Romane so schreiben.
Wir können froh sein, daß wir unseren Dahabieh nicht in Alexandria genommen haben, denn gestern sind Leute eingetroffen, die zwölf Tage auf dem Weg gewesen waren, ich meine, auf dem Fluß. Wir hatten eine herrliche Woche in Kairo, es verdient alle östlichen Metaphern – eine Braut im Hochzeitsgewand, so strahlend und doch so zurückhaltend, so fröhlich und doch nicht aufdringlich.
Und die Esel! Man reitet so bequem und luxuriös auf einem Esel, wie ein Kalif, wäre nur nicht das Geschöpf nebenan, aber vor sich hat man einen hervorragenden Mann, einen Sais (???) oder Diener, von vornehmer Erscheinung, der läuft wie ein Fluß, gewaltig und doch anmutig, und er gürtet sein Gewand wie ein Mann in der Bibel und läuft, ohne seine Arme zu bewegen, und trägt Dinge vor sich her.
Oh, wenn man nur vergessen oder glauben könnte, daß die Leute hier Artgenossen sind, was für ein Land wäre es!

Anmerkung der Übersetzerin:
1: Hier irrt die Autorin - der Hund hieß natürlich Anubis, nicht Zerberus.

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