5. Brief - Der armenische Gouverneur (D)

Das einzige Geräusch war das Bellen der Schakale, die nicht näherkamen, weil es keine Kadaver für sie zu fressen gab, und blieben dort, wo es welche gab. Die ganze Natur wirkte ausgelaugt und sterbend, und der Nil floß gemächlich dahin, wie der Kokytus. Es war die völlige Ödnis, und die Sonne ging unter, als habe sie nicht einmal mehr die Kraft, die Wolken zu färben.
An zwei Morgen in dieser Woche war der Nil in echten englischen Nebel gehüllt, so dicht, daß niemand an Land gehen wollte. Aber gestern nach dem Frühstück gingen wir und wurden von einem Armenier auf Englisch angesprochen. Er entpuppte sich als der Gouverneur der umliegenden Dörfer. Ich sprach lange mit ihm, und er lud mich ein, sein Dorf zu besuchen, und er würde mir all die Häuser der Araber etc. zeigen. Das hätte ich gern getan, aber gerade da kam der Wind auf, und Mr. B wollte ihn nicht ungenutzt lassen.
Das war ein Jammer, weil wir unter diesen Türken vielleicht nie wieder einen Gouverneur finden, der bereit ist, uns herumzuführen. Er sagte mir, er sei der Gouverneur von ich weiß nicht mehr wievielen Dörfern, und seine Leute müßten für jeden acre zwei Dollar Pacht zahlen müssen und 30 bis 50 Piaster für jeden Mann. Dafür ist er der Regierung verantwortlich und muß es aus der Bevölkerung herausholen, so gut er kann. Er muß die gesamte Bevölkerung für einen Piaster am Tag beschäftigen. Meistens bezahlt er sie in Bohnen, weil kein Basar in der Nähe ist, und nur in dieser Jahreszeit in Geld. Die Bevölkerung besteht aus ihm selbst, einem mola (Priester), der aus Kairo kommt und die Leute nicht einmal ihre Gebete lehrt, einem Kadi (Richter), der kaum seinen eigenen Namen schreiben kann, und den Fellachen (Bauern), die vollkommen unproduktiv sind. Er klagte über seine völlige Unfähigkeit, sie irgendwie zu verbessern, sagte, er lebe nur mit seinen Büchern, daß Ibrahim Pascha Schulen hatte errichten lassen, aber Abbas Pascha sie alle geschlossen hatte (davon sprach er offenbar nur ungern), daß das größte Laster seiner Fellachen Unehrlichkeit sei und sie einander bestahlen – gerade hatten wieder 500 Leute kleine Diebstähle begangen. Wenn er zu ihnen sagte „Warum seid ihr nicht zu mir gekommen? Ich hätte euch Bohnen gegeben, ihr hättet nicht stehlen müssen“, dann hieß es, nein, sie seien das Stehlen gewöhnt. Er legte großen Wert darauf, nicht für einen Türken gehalten zu werden. Er sagte, sie würden mit der Aussaat anfangen, sobald die Überschwemmung zurückgeht – die Ernte beginnt in vier Monaten. Das ganze Land ist in den Händen des Pascha, er gibt und nimmt es nach Gutdünken – der Bezirk dieses Gouverneurs war an dessen Dolmetscher verpachtet – die Leute leben von Bohnen und Datteln. Sie haben nicht den leisesten Anreiz, etwas zu verdienen, und deshalb tun sie so wenig wie möglich, und wenn sie keine Bohnen für den nächsten Tag haben, sagen sie, Gott werde für sie sorgen. Wenn der Gouverneur nicht genug Fellachen hat, um das Land zu bestellen, leiht er sich welche aus einem anderen Dorf. Ich versichere Euch, daß jeder, der an Land geht, ganz krank wird angesichts dieser Zustände. Es wäre tausendmal besser, wenn die Leute unzufrieden und aufrührerisch werden. Es ist ihre Zufriedenheit, die schockiert. Ein zufriedener Geist ist ein ewiger Fluch.
Dieser Mann sagte mir, er habe nicht das Herz, es so zu machen wie andere Gouverneure, wenn die Leute mit ihren Steuern im Rückstand waren – es von den Löhnen abziehen und sie hungern lassen – aber er hatte sie dazu gebracht, ihm einen halben Piaster auf einmal zu bringen. Er sagte, sie hätten keine Religion, hielten aber Christen für Hunde. Mr. Murray sagte uns in Kairo, daß Abbas gerade folgendes Gesetz erlassen hatte: Wenn nicht alle ausstehenden Steuern innerhalb von zwei Monaten bezahlt würden, würde jeder Mann, der Land gepachtet hatte, enteignet werden.

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