5. Brief: Die Grausamkeit der Polizei (C)

Nach dem Frühstück gingen wir alle gemeinsam an Land, Paolo und Mr. B. hatten ihre Gewehre dabei, um uns unser Mittagessen zu schießen. Sie schossen sieben Wachteln, und wir schlenderten derweil durch die Wüste oder setzten uns in den Schatten, den ein Grasbüschel spenden konnte (das Gras war so hoch wie Schilf), denn die Sonne brannte vom Himmel auf uns nieder. Polizisten zu Pferd ritten an uns vorbei, gutaussehende Burschen mit Turbanen und Hosen, Gewehren und Pistolen, die Polizei, die Mohammed Ali geschaffen hat – rüpelhafte Arnauten – aber sie haben das Land effektiv gesäubert und für die Sicherheit von Europäern gesorgt. Man macht sich nicht die Mühe, zu untersuchen, wer der Täter ist, aber wenn ein Verbrechen geschieht, büßt das ganze Dorf, damit die Arbeit einer Untersuchung gespart wird. Vor fünf Jahren wurde ein Dahabieh geordert, um den Gouverneur von Indien zu treffen, und fuhr den Fluß hinunter. Ein paar Araber gingen an Bord und begingen Mord und Raub. Das Dorf wurde niedergebrannt und keine Menschenseele verschont, nicht einmal Kinder auf dem Arm ihrer Mutter. Wenn jemand einen Fehltritt begeht, wird das ganze Dorf dafür verantwortlich gemacht und mit Bastonade bestraft. Wenn wir nachts Rast machen, ist das Dorf für uns verantwortlich, und unser Boot wird die ganze Nacht von Männern bewacht, die einander ablösen. Wir gingen wieder an Bord und lasen die englische Bibel.
Letzte Nacht bin ich bei Sonnenuntergang mit Paolo an Land gegangen. Wir schossen nur eine kleine Eule.
Während er das tat, entdeckte ich eine Straße, die ganz europäisch aussah, nur daß sie zwischen Palmen lag, Grasbüschel auf ihr wuchsen und sie kaum begehbar war. Kamele und Büffel waren auf dem Nachhauseweg mit einem alten Mann, der sagte, er sei „aus der ersten Zeit“ – Arabisch für „sehr alt“. Es war mein erster Spaziergang unter Palmen, denn die Wäldchen sind manchmal sehr weit voneinander entfernt, und man kann nicht einfach an Land gehen, wo man will. Die Sonne ging gerade hinter ihnen unter. Aber es gibt keine Worte, um einen afrikanischen Sonnenuntergang zu beschreiben. Eine Säule aus Feuer stieg dort auf, wo die Sonne, die so ungern ging, erst langsam verschwunden war, wie die, die Moses durch die Wüste führte – aber auch nicht aus Feuer, es war eher wie ein kostbarer Stein, durchsichtig und trotzdem tief. Alle Farben von Afrika sind die kostbarer Steine, die Farben der Offenbarung, während die von Europa wie die von Blumen sind.
Der Nil sah aus wie geschmolzenes Gold, und im Westen war ein langer Streifen aus dem reinsten Blau, der sich bis in den Osten erstreckte, saphirblau, und darüber ein Band von zartestem Rosa, und der ganze Himmel war „so wolkenlos, klar und rein, als sähe man zu Gott in den Himmel hinein“ (1). Der ganze Nil ist so unnatürlich, wenn man diesen Ausdruck verwenden darf, so unähnlich der Natur – die Beschreibung der Gärten in Tausendundeiner Nacht mit den kostbaren Steinen scheinen hier nicht mehr phantastisch oder übertrieben – es ist die Beschreibung des Landes. Blumen oder Gärten gibt es zwar nicht – und noch weniger Bäume, bis auf die Palmen, aber Tausendundeine Nacht geben den Charakter der Landschaft genau wieder. Bei Sonnenuntergang an diesem Abend hatten wir ein echtes Exemplar der Wüste vor uns – lange, tiefe, ebenmäßige Linien auf jeder Seite, eine einzige Palme schien das letzte Überbleibsel der Vegetation zu sein, ein einsames Grab eines Scheichs das Grab des letzten Menschen. Die Brise erstarb, als sei sie zu müde und ausgelaugt, um an diesem Ende der Welt zu blasen.

Anmerkung der Übersetzerin:
"So cloudless, clear, and purely beautiful / That God alone was to be seen in heaven." Aus: Lord Byron, The Dream. Meine Übersetzung.

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