9. Der Chamsin (D)

Ich ging nicht schlafen – die Fahrt verlief sehr schaukelig, besonders am Heck, daß wir dachten, wir hätten ein Leck. Es war so dunkel, daß wir nichts sehen konnten, aber am Morgen merkten wir, daß unser Boot die ganze Nacht auf dem armen Wrack gethront hatte, das ein Strudel unter uns gespült hatte. Als es dämmerte, schaute ich hinaus, es war völlig in Stücke gegangen – es war nichts übrig geblieben außer ein paar Kabinenplanken, die wir mitnahmen, eine Truhe mit Kleidern, die wir retteten, und die Orangen, die im Strudel umherwirbelten. Ich habe noch nie etwas Ergreifenderes gesehen als diese armen Orangen, den letzten Luxus in ihrem Leben im Angesicht des Todes. Es regnete in Strömen – das Dach unserer Kabine war völlig durchweicht – der Himmel sah aus wie eine einzige schwere Masse, aber der Wind hatte etwas nachgelassen, und wir kämpften uns vorwärts, bugsiert von der elenden Besatzung. Ihnen klapperten die Zähne, sie waren tropfnaß und dachten offenbar, der Jüngste Tag, das Ende der Welt, sei gekommen (für sie ist Regen ungefähr das, was für uns Engländer ein Erdbeben wäre), nach Manfalut, das wir gegen zwölf erreichten. Dort erfuhren wir, daß vier der fünf Boote, die uns gestern überholt hatten, gesunken waren, und zwanzig Passagiere, darunter Frauen und Kinder, waren ertrunken. Fast all ihre Angehörigen waren in Manfalut. Wir übergaben die Truhe mit den Kleidern dem Gouverneur, sehr zum Verdruß unserer Mannschaft, denn die Mitglieder hätten sie gern selbst behalten. In Manfalut gingen sie an Land und buken sich selbst – sie trockneten sich buchstäblich in einem Ofen. Einen solchen Sturm hatte man seit 1839 nicht erlebt, als der Regen die Hälfte der Häuser in Manfalut weggeschwemmt hatte. Es hatte zuerst Sand und dann Wasser geregnet, und das die letzten vierundzwanzig Stunden lang.
Unser Laderaum war mit Brackwasser vollgelaufen, sonst war uns nichts passiert.
„Wenn der Nil so etwas tut“, sagte Paolo, „sieht er mich nicht wieder!“ Paolo hatte den Nil fünfzehn Jahre lang befahren und nie einen solchen Sturm erlebt, und unser Rais, der aussieht wie Abraham, nur ein einziges Mal. Uns kam der Gedanke, daß der alte Nil es extra für uns veranstaltet hatte (so wie Italiener Engländern halb rohes Beefsteak und Plumpudding servieren), in dem Glauben, uns einen Gefallen mit unserem eigenen Klima zu tun, weil es uns an zu Hause erinnerte. Aber wenn er gewußt hätte, was für eine Figur er gemacht hatte, hätte er es nicht getan.
Die Araber wirkten wie gelähmt vor Bestürzung – sie konnten nichts mehr tun. Vier Tage dauerte der Sturm, bis der Himmel zur Besinnung kam. Wer einen Chamsin am Nil gesehen hat, wird hoffen, nie wieder einen zu erleben.
Das arme unglückliche Boot, das uns am Nachmittag so vergnügt überholt hatte und vier Stunden später als bloßer Rumpf zurückgekommen war – sein Mast und die Segelstange ragten gerade noch aus dem Wasser –, hatte uns zwei Tage lang begleitet und wir hatten seine fröhlichen Nubier und einige seiner Passagiere fünfzig Mal am Tag gesehen. Offenbar hatten sie bei ihrem Versuch, zu entkommen, die Kajüte aufzubrechen, aber warum sie – selbst wenn man die Dunkelheit bedenkt – nicht an Land waten konnten, konnten wir uns nicht erklären.

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