1. Brief: Alexandria (C)

Ihr könnt Euch auch nicht vorstellen, mit welcher Ungeduld man darauf wartet, an Land zu gehen, wenn man acht Nächte an Bord verbracht hat – auf einem überfüllten Dampfer, bei – ich glaube es wirklich – fünfzig Grad in unserer Kabine. Die Männer tranken von morgens bis abends Punsch, und die Frauen kicherten und schwatzten. Natürlich gibt es bei all der Schönheit auch Schattenseiten. Die Moskitos sind schon jetzt (um sechs Uhr morgens) eine solche Plage, daß ich von den Leichen derer umgeben bin, die ich in einer einzigen Schlacht erschlagen habe.
Gestern abend trieb uns der schwere Tau noch vor Sonnenuntergang nach Hause. Aber das ist ein geringer Preis für die Herrlichkeiten des Orients. Ich wünschte, ich könnte die Leute in dem armenischen Garten beschreiben – eine kleine Gruppe von Kindern an der Pforte, die ihr Abendessen (Bohnen in einer flachen Schale) verzehrten. Sie schlangen es nicht hinunter und bekleckerten sich auch nicht wie europäische Kinder, sondern verhielten sich wie kleine Götter – majestätisch und mit Würde tunkten sie ihr Brot in die Bohnen und unterhielten sich. Ein bildschöner, breitschultriger Junge von vier Jahren trug nur ein loses Hemd, er legte seine kleine braune Pfote auf sein Knie und beobachtete uns ungerührt mit der Haltung eines kleinen Apollo, der sich ausruht. Eine kokette Dreijährige (deren Koketterie aber nicht vulgär war), die Hände und Handgelenke mit Armbändern und Ringen geschmückt, hatte die Ausstrahlung einer Juno, und Nummer Drei, ein kleines Ding von achtzehn Monaten, streckte die Beine aus und gab sich ebenso feierlich wie die anderen beiden. Wir wünschten uns sehr, daß P. die Kleinen zeichnen würde. Dann die Gruppe auf dem Brunnen – drei Ägypterinnen in schwarzen Seidengewändern, die sie vollständig verhüllen und nur die Augen freilassen. Eine große, anmutige Nubierin im Hintergrund, ganz in Weiß gekleidet, geniert sich nicht, ihr schwarzes Gesicht zu zeigen, das so gut zu ihrer weißen Vestalinnentracht paßt, und zwei Smyrniotinnen tragen griechische Frisuren mit reichlich Blumenschmuck in Blau, Rot und Braun wie auf den Gemälden von Guercino. Sie bildeten gemeinsam mit einer gelben Frau eine sehr orientalische Gruppe. Die ägyptische Tracht (der Frauen aus der oberen Klasse), das weite schwarze Gewand, ist nicht anmutig, aber hier sieht man jede Art Kleidung, von der der Äthiopier bis zu der der Waldenser. Wir sahen auch einen Trauerzug, die Teilnehmer kreischten wie die Wilden.
Die Sonne ist nun ebenso hell und klar aufgegangen wie gestern, und ich sitze auf meinem Diwan, der auf einem steinernen Fußboden steht, am offenen Fenster. Die Esel, die Araber und diese schrecklichen Kamele machen einen furchtbaren Lärm.

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