3. Brief: Kairo (I)

In Italien hat man das Gefühl, die Einheimischen seien Kinder und ihr Tag breche an, hier hat man das Gefühl, sie seien Dämonen und ihre Sonne untergegangen. Man reitet dem Sonnenuntergang entgegen, aber zwischen sich selbst und der Sonne sieht man – zusammengekauert in einem Graben – niedrige Hütten, die nicht einmal so tun, als würden sie vor Wind und Wetter schützen, die Schilfrohre, die im Sumpf ringsum wachsen, überragen sie und versuchen, ihnen zu geben, was der Eifer der Menschen nicht gibt. Die besten haben statt eines runden Lochs im Lehm (als Fenster) einen Topf ohne Boden im Loch, von Strohdächern ist keine Rede, und daraus krabbeln Geschöpfe hervor, nur halb angezogen, und das in einem Land, in dem es für eine Frau eine Schande ist, ihr Gesicht zu zeigen. Sie wirken nicht wie halbfertige Wesen, die wachsen und reifen werden, sondern wie auf ewig Verdammte. Ich hatte noch nie solches Elend gesehen. Das Gefühl „Oh, wie gern würde ich hier leben! Was würde ich dafür geben, dieses Feld zu bestellen!“ hatte ich ohnehin noch nie, und hier wandte man sich ab, „ging vorüber“ und dankte Gott, nicht hier bleiben zu müssen. Ich glaube nicht, daß man hier leben könnte. Und über allem hängt das prächtige goldene Gewölbe des Himmels und „alles, bis auf den menschlichen Geist, ist göttlich“.
In Kairo selbst ist alles – so beeindruckend die Architektur auch ist – unfertig. Entweder wurde etwas begonnen und nie vollendet, oder es verfällt, aber nie sieht man etwas Ganzes, auch wenn es den Pascha nicht kümmert, wieviel Geld er ausgibt.
Abbas Pascha fährt heute den Fluß hinauf, und Pruner (Mr. Mohls Freund) begleitet ihn; sein einziges Vergnügen besteht darin, Christen aus seinen Diensten zu entlassen.

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