3. Brief: Kairo (A)

Kairo,  29. November 1849
Meine liebe Familie,
niemand spricht jemals von der Schönheit Kairos oder vermittelt auch nur eine leise Ahnung von dieser unübertrefflichen Stadt. Ich dachte, es sei ein Ort, an dem man Vorräte kauft und den man auf dem Weg nach Indien durchquert – stattdessen ist es die Rose unter den Städten, die Perle maurischer Architektur und der schönste Platz der Welt. Es erinnert mich immer an den Sirius – ich kann nicht sagen warum, außer daß der Sirius das hellste Licht oben am Himmel verströmt und daß Kairo den gleichen strahlenden Anblick unten auf Erden bietet. Wenn ich in kommenden Jahren den Sirius sehe, werde ich immer an Kairo denken. Oh, könnte ich nur die maurischen Straßen mit ihrem roten und weißen Marmor beschreiben, die vergitterten Balkons, aus denen kleine achteckige Schreine, ebenfalls mit Schnitzwerk in Gitterform, herausragen, damit die Damen hindurch schauen können, die unzähligen Moscheen und Minarette, die Arkaden in den Innenhöfen der Häuser, in die man einen verstohlenen Blick wirft, die oberen Stockwerke gegenüberliegender Häuser, die fast aneinander stoßen, die Luft erfüllt von Duft, in diesen schmalsten aller schmalen Gassen! Aber es gibt keine Worte, um eine arabische Stadt zu beschreiben, jedenfalls keine europäischen Worte. Für den einen gestrigen Tag hätte man es lohnend gefunden, eine Reise zu machen, die drei Mal so lang und zehn Mal so beschwerlich gewesen wäre wie die unsere, und zufrieden zurück zu kehren.

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