5. Brief: Ein afrikanisches Dorf (A)

Vor Girga, 9. Dezember 1849
Morgen sind wir eine Woche an Bord und haben uns nun richtig in unserem Haus eingelebt. Alle unsere gimlets up (1), unsere Diwane aufgestellt, unsere türkischen Pantoffeln (mezd) liegen bereit, und alles ist an seinem Platz, wie es in einer so engen Unterkunft sein muß. Wenn Ihr mich fragt, wie mir das Leben an Bord eines Dahabieh gefällt, muß ich sagen, daß ich keine geborene Dahabieh-Bewohnerin und Diwan-Sitzerin bin. Ich sehne mich so danach, allein durch die Wüste zu wandern, meine Nase in alle Dörfer zu stecken, hierhin und dorthin zu eilen und où bon me semble. Ich möchte auf meinem Esel über das weite Land reiten, ich freue mich, wenn der Wind weht und ich an Land komme. Man nennt mich „die wilde Eselin der Wildnis, die die Nase im Wind hat“, weil ich so gern aufbreche und unterwegs bin. Ich liebe unseren Dahabieh als mein Zuhause, aber den ganzen Tag darin zu verbringen, wozu wir verdammt sind, wenn der Wind nicht weht, gefällt mir überhaupt nicht. Aber ich muß Euch erzählen, was für Spaziergänge ich gemacht habe. Heute morgen bin ich bei Sonnenaufgang mit einem Mitglied der Besatzung an Land gegangen, es war kalt, kalt wie an einem Oktobermorgen in England, und es lag sogar ein Hauch von Rauhreif. Aber im Schutz der Palmen war es wärmer. Wir gingen in ein Dorf; wir erkannten, wo es lag, weil es von Palmen umgeben war. Sobald man welche sieht, kann man sicher sein, auf Häuser zu stoßen. Wir trafen eine Frau, die ihre Herde aus schwarzen Ziegen und weißen Schafen zu einem Tümpel führte, den das Nilhochwasser hinterlassen hatte, damit sie dort trinken konnten. Etwas weiter kamen wir zu einem Ziegelfeld, Ziegelsteine aus Lehm lagen zum Trocknen in der Sonne. In den Lehm hatte man reichlich gehäckseltes Stroh gemischt, damit sie nicht zerflossen. Man denkt jedesmal an Rebekka und die Aufgabe der Hebräer.

Anmerkung der Übersetzerin:
1: Hier muß ich leider passen, ich weiß nicht, was die Autorin mit "gimlets" meint.

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