7. Brief - Der Nil (I)

Als wir wieder auf dem Boot waren, fuhren wir an einem verlassenen arabischen Dorf namens Metahara vorbei, mit einer Thebener Pforte, und einer Allmende mit Palmen, wo ich ein Paar wunderschöne grüne Vögel sah, wie Papageien. Es gab eine verlassene Moschee, alles war ohne Dach und jämmerlich. Abends machten wir einen schönen Spaziergang in Kôni, wo wir auch die Nacht verbrachten. Zuckerrohr wuchs zehn Fuß hoch zwischen den wilden Palmen, unter denen ein junges Kamel graste, und das Unterholz bestand aus Akanthus. Zwei Männer beteten und senkten die Stirn bis auf den Boden. Sie waren völlig versunken – die ersten Leute, die ich seit Kairo habe beten sehen. Die Christen haben hier einen schlechten Ruf. Sie sind die Schreiber des ganzen Landes und werden – wie bei uns die Anwälte – beschuldigt, alle möglichen Schwierigkeiten zu vervielfachen und komplizierter zu machen, um sich Arbeit zu beschaffen: „So verdienen sie ihren Lebensunterhalt.“ Das christliche Dorf, in dem das Kloster liegt, ist berüchtigt dafür, Boote auszurauben, und die Christenheit, das sage ich mit Bedauern, hat sich unter den Mohammedanern einen sehr schlechten Ruf erworben. Das Erbrecht hier (wenn es nur etwas zu erben gäbe) ist gerechter, als man erwarten würde. Es gilt keine Primogenitur und die Frau bekommt halb so viel wie der Mann. Ein Mann kann nur über ein Drittel seines Besitzes verfügen und das kann er keinem Erben hinterlassen, es sei denn, alle anderen stimmen zu. Eine einzige Tochter kann (wenn kein Sohn da ist) kann laut Koran die Hälfte des Besitzes erben und die andere Hälfte nach allgemeinem Brauch. Die Ehefrau scheint – eine wunderbare Vorstellung – die volle Verfügung über ihren eigenen Besitz zu haben, und der Ehemann erbt nur ein Viertel, wenn sie Kinder haben, und die Ehefrau oder die Ehefrauen erben ein Viertel des Besitzes ihres Ehemannes, unabhängig voneinander und zusätzlich zu ihrer Mitgift, wenn sie keine Kinder haben. Was die Kinder betrifft, erbt das Kind der Sklavenfrau genausoviel wie das Kind der richtigen Frau! Das klingt viel besser als erwartet. Wenn ich nun anfangen würde, die infamen Bestechungen aufzuzählen, die jeden Tag am höchsten Gericht in Kairo begangen werden, würdet Ihr es nicht glauben, aber Ihr könnt sie Euch vorstellen dank der Tatsache, daß der oberste Richter (oder Kadi) in Kairo jedes Jahr aus Konstantinopel kommt. Er kauft den ganzen Ort und ist vielleicht völlig unwissend, weil er kein Arabisch kann, weil er von Rechts wegen Türke ist – er braucht keine Qualifikation außer Geld. Natürlich hängt er völlig von seinem Mittelsmann ab, der ständig da ist und sich gut mit der Korruption des Gerichtes auskennt. Jedes Mitglied jeder Ratsversammlung in Ägypten wird vom Pascha ernannt und die Autorität der Ulama (oder Gelehrten), die traditionell Einfluss auf die Regierung hatten, wurde von Mohammed Ali völlig zerstört.

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