7. Brief - Der Schrecken der Wüste (B)

Vielleicht ist es der Kontrast zwischen Himmel und Erde, der den Schrecken der Wüste ausmacht. Wenn der Himmel über ihr dumpf und leblos wäre wie der unsere, würde es nicht so unnatürlich wirken – oder wenigstens würde man ihren Schrecken nicht so deutlich sehen wie in diesem grellen Licht. Aber während die Erde in unserem Land reich und mit Licht und von Leben erfüllt ist, ist der Himmel über ihr ein Gegensatz, weil er so tot ist. Hier dagegen ist der Himmel strahlend, das Licht lebendig, das goldene Licht, das nicht nur der Sonne zu entströmen scheint, sondern dem ganzen durchsichtigen blauen Firmament. Dann schaut man nach unten und die undankbare Erde liegt vor einem, hoffnungslos und hilflos, eine sterbende, vertrocknete Wüste: Man glaubt beinahe, den Teufel lachen zu hören, wenn er den Allmächtigen dazu herausfordert, aus Steinen Brot zu machen.
Das ist es, was einem in Ägypten ein übernatürliches, geheimnisvolles Gefühl gibt – natürlich hebt man den Blick zum Himmel, wenn die Erde keine Schönheit zu bieten hat und der Himmel um so mehr davon. Das Ringen zwischen Gott und dem Teufel steht einem ständig vor Augen, denn die Erde scheint die Heimstatt des Teufels zu sein und der Himmel die Gottes, und man wundert sich nicht darüber, daß die Orientalen die mystischen Leute geworden sind, ebenso wenig wie darüber, dass die Europäer, bei denen alle Schönheit der Erde gehört und sich die Gedanken an ihr haften bleiben, praktische, aktive Menschen geworden sind.
Aber zurück zu unserem Spaziergang. Es war ein Montagmorgen und wir landeten bei Sonnenaufgang an der Ostküste und gingen ein paar Kalksteinklippen hinauf, die wir etwa eine Meile im Landesinnern sahen und die vor dem Himmel empor ragten. Die einzigen Spuren von Leben, die wir sahen, waren zwei Geier, die auf den höchsten Gipfeln saßen, und die Schakale, die bei Tagesanbruch von ihrem Festschmaus auf einem kleinen muslimischen Friedhof zurückkamen wie Ghule. Wir hatten in der Nacht ihr Gebell gehört und uns gefragt, was sie machten. Der Sand war kein Sand, sondern bestand einzig und allein aus kleinen Fossilien, den Überbleibseln einer früheren Welt, sogar älter als die ägyptische Welt, und lag so dick wie Staub. Durch diesen Staub führte unser Weg zu den Steinbrüchen. Von deren enormer Größe in früheren Zeiten zeugte ein gigantisches Propyläum (in den Felsen gehauen zeichnet es sich vor dem Himmel ab), das jetzt mehrere Hundert Yard von den Steinbrüchen entfernt liegt. Der Stein ist kein bißchen echter Kalkstein, sondern ein Gemisch. Ich habe etwas davon mitgebracht, denn er war so brüchig, daß ich darin graben konnte wie ein Schakal. Ich stieg bis ganz nach oben auf den Gipfel des Steinbruchs und sah die Wüste auf der anderen Seite. Nichts, nichts außer Wellen aus Sand, so weit das Auge reichte. Rund um einen einsamen Felsen fand ich Scherben von Keramikgefäßen und ein quadratisches Loch, das in den Felsen gehauen worden war, kennzeichnete den Eingang zu einer Grabkammer – aber ich hatte keine Zeit, hinein zu gehen. Wir kehrten heim durch den elenden, geplünderten kleinen Friedhof nahe am Ufer.
Das Grab eines Santon befand sich am Landeplatz und ein Teppich, auf dem einst jemand gebetet hatte, und eine verfallene arabische Festung. Es war eine richtige Erleichterung, am Flußufer eine Süßwassermuschel zu entdecken, weil es etwas Lebendiges war.
Wir rechneten damit, noch am gleichen Tag Miniyeh zu erreichen, aber es herrschte eine tödliche Ruhe und wir gingen nachts kurz vor Samalut vor Anker, am Westufer, das meistens in der Nacht gewählt wird. Am nächsten Tag sahen wir zum ersten Mal einen Felsentempel. Gegen Mittag fanden wir uns gegenüber von ein paar Katakomben wieder, nahmen also die kleine Feluke und ruderten hinüber zum Ostufer und nahmen die Crew des Bootes und den Scheich des Dorfes mit, gingen ungefähr zwei Meilen in die Wüste hinein, wo die Steinbrüche standen, ohne Schatten und golden vor dem Hintergrund des Himmels.

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