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Es werden Posts vom September, 2023 angezeigt.

3. Brief: Kairo (J)

Wir haben dreimal mit Mr. Murray gegessen, einmal hatte er einen Bey und dessen Frau zu Gast, die natürlich gebürtige Europäer sind. Sie war ungeheuer aufgedonnert in Jacke und Hose aus weißem und goldenem Stoff und hatte an ihrem Turban einen prächtigen Halbmond aus Diamanten, so groß wie zwei Monde und zwei Sterne aus Brobdingnag – soviel Pomp und Häßlichkeit habe ich noch nie gesehen. Nach dem Essen saß sie da und rauchte, wie ein Kind, das an seiner Flasche saugt, und thronte höchst erhaben auf ihrem Platz, und sie gaben uns alle Pfeifen (oh, wenn Ihr uns gesehen hättet!), zehn Fuß lang, with beautiful petticoats (Pfeifen mit Petticoats?) , die Enden in auf kleinen Tabletts auf dem Boden, und arabischen Kaffee aus filigranen Tassen. Der weibliche Bey (1), Mr. Murray und ich sprachen Italienisch, aber sie beteiligte sich kaum an der Unterhaltung. Der männliche Bey, der sich viel auf sein Englisch einbildet und jeden Morgen einen Satz zu Mr. Legros, dem Sekretär, sagt, gibt eine lan

3. Brief: Kairo (I)

In Italien hat man das Gefühl, die Einheimischen seien Kinder und ihr Tag breche an, hier hat man das Gefühl, sie seien Dämonen und ihre Sonne untergegangen. Man reitet dem Sonnenuntergang entgegen, aber zwischen sich selbst und der Sonne sieht man – zusammengekauert in einem Graben – niedrige Hütten, die nicht einmal so tun, als würden sie vor Wind und Wetter schützen, die Schilfrohre, die im Sumpf ringsum wachsen, überragen sie und versuchen, ihnen zu geben, was der Eifer der Menschen nicht gibt. Die besten haben statt eines runden Lochs im Lehm (als Fenster) einen Topf ohne Boden im Loch, von Strohdächern ist keine Rede, und daraus krabbeln Geschöpfe hervor, nur halb angezogen, und das in einem Land, in dem es für eine Frau eine Schande ist, ihr Gesicht zu zeigen. Sie wirken nicht wie halbfertige Wesen, die wachsen und reifen werden, sondern wie auf ewig Verdammte. Ich hatte noch nie solches Elend gesehen. Das Gefühl „Oh, wie gern würde ich hier leben! Was würde ich dafür geben, die

3. Brief: Kairo (H)

Wir hatten eine herrliche Woche in Kairo. Ich wünschte, wir würden länger bleiben. Vor allem die Fahrten (Ritte?) durch die Straßen sind so wunderbar, daß man es nie müde wird. Und dann die vergitterten Fenster, Perlen der maurischen Architektur an jeder Ecke, der Blick hinauf zum blauen Himmel und dem goldenen Sonnenlicht, die Brunnen und Basare, die Straßen sind überdacht, und wenn man über den Kauf eines Paars gelber Schuhe verhandelt, sieht man eine Straßenecke mit einem Bogen in maurischem Stil, und das Sonnenlicht fällt durch die quadratischen Löcher des Daches, das die Straße abschirmt, oder man schaut in einen Innenhof, wenn man einen Teppich braucht, und sieht die Schneider auf Tischen sitzen. Die Wände sind mit Laubsägearbeiten verziert. Wenn man im Mondschein nach Hause fährt (reitet?) , sitzt der Türke im Schneidersitz unter einem niedrigen Bogen, jede Ecke ist schön wie ein Bild, und kein Bild kann einen Eindruck von den Farben geben. Aber man zahlt einen Preis für den A

3. Brief: Kairo (G)

Am Montag waren wir müde und begnügten uns damit, durch den Garten des Generalkonsuls zu schlendern. Wir aßen mit ihm zu Mittag und amüsierten uns über sein fünf Monate altes Nilpferd. Mr. Murrays Güte gegen uns war grenzenlos. Er hat uns ein Zimmer, in dem ich jetzt schreibe (es ist fünfzig Fuß lang) und seinen Garten zur Verfügung gestellt, uns arabische Bücher geliehen, den Grundstock für unsere Sammlung ägyptischer Antiquitäten gelegt, uns Muscheln aus dem Roten Meer geschenkt usw. Er nimmt seine Arbeit offenbar sehr ernst, er hat Türkisch, Arabisch und Persisch gelernt – Türkisch zu diplomatischen, Arabisch zu alltäglichen und Persisch zu literarischen Zwecken – und mir soeben eine sehr philosophische Unterrichtsstunde in Arabisch erteilt. Das Hôtel de lʼEurope , in dem wir wohnen, befindet sich an der Ezbekeyeh , der vornehmsten Promenade in – Europa, hätte ich beinahe gesagt. Wir haben sie heute morgen überquert, um Mrs. Lieder zu besuchen ( Lieder ist leider krank), dann gin

3. Brief: Kairo (F)

Auf dem Nachhauseweg ritten wir durch das Tor von Bab-el-Nusr – das Siegestor – , dann in der Dämmerung durch die Straßen von Kairo und machten dabei wieder die herrliche Erfahrung, daß wir jeden Passanten umrannten und von jedem Kamel niedergetrampelt wurden. Aber wir verletzten niemanden und blieben auch selbst unversehrt. Oh, diese seltsamen Gestalten, diese wilden unwirklichen Figuren (in der Dämmerung) arabischer Frauen in ihren riesigen schwarzen Vermummungen! Wenn sie mit den Armen fuchteln, sehen sie alles andere als menschlich aus! Wir haben unseren Dahabieh bezogen, und morgen kommt der Besitzer, der Bey , der sich sehr „anständig“ verhalten hat, um nach seinem Moscheebesuch die Friedenspfeife mit uns zu rauchen und Kaffee zu trinken, um den Vertrag abzuschließen. Es ist Freitag – sein Sonntag – , ich habe das Boot noch nicht gesehen, das Parthenope heißt. Der Name soll in griechischen Buchstaben auf eine blaue Flagge gestickt werden. Bisher hat noch kein Europäer das Bo

3. Brief: Die Wüste (E)

Mosesʼ Einfluß ist immer noch spürbar, sogar auf dem Friedhof von Wellow (1) , das kleine Kind, das vor 1849 Jahren auf dem Arm seiner Mutter saß, vielleicht genau in der Heliopolis , in der wir jetzt sind, hat die Welt verändert. Göttliche Größe überdauert immer, aber was ist menschliche Größe, wenn man diesen Niedergang des schönsten Landes der Welt sieht? Es gab einmal zwanzig Millionen Ägypter, jetzt sind es nicht einmal mehr zwei. Nun, wir ritten in die Wüste hinaus und trafen gelegentlich auf einen reitenden Araber oder eine Reihe von Kamelen, die aus Suez kamen, bis wir die Gräber der Kalifen erreichten. Stellt Euch vor, Ihr befändet Euch in einem Dschungel aus (wie jemand sagte) vierhundert Moscheen – denn jedes Grab ist eine Moschee, die verfällt, aber in ihrem Verfall wunderschön ist. Jede hat eine Kuppel, die von wildem Wein oder Laub überwuchert ist, und am Fuß des Turms steht eine arabische Inschrift auf blauem Grund. Unzählig an Vielfalt, vollkommen an Schönheit faszinie

3. Brief: Die Wüste (D)

Ich habe nie etwas so Faszinierendes gesehen wie diesen Weg vom Garten der Städte, dem Summen der Nationen, zu dieser Stadt der Gräber und der Wüste. Man hat Beschreibungen der Wüste gelesen, bis man meint, sie sich genau vorstellen zu können. Aber wenn man in sie hinaus reitet, stellt man fest, daß keine Lektüre einem auch nur den leisesten Eindruck von ihr gegeben hat. „Ein Fluch, ein Fluch“ ist das einzige Gefühl, das einem noch durch den Sinn geht, jedes andere Gefühl ist tot, jede andere Idee ausgelöscht, bis auf diese eine, die im leeren Gehirn auf und ab geht, bis sogar der Anblick der Gräber eine Erleichterung ist. Die Wüste aus der Phantasie ist eine riesige Ebene, in der es immer etwas Tröstliches gibt, mit einem goldenen Himmel und opalfarbenen Horizont. Aber was man dann sieht, ist aufgewühlte Erde, nicht wie von der Vorsehung geschaffen, sondern als sei sie auf andere Weise entstanden und als seien Wolken aus Sand, Wirbelstürme und der Fluch über sie hinweg gefegt und hätt

3. Brief: Kairo (C)

Und nur einen Katzensprung von seinem prächtigen  Grabmal entfernt liegt der Platz, auf dem die Mamelucken starben. Er zählte sie bei Tagesanbruch, und wo waren sie, als die Sonne unterging? Er ruht nun ganz in der Nähe der ermordeten Stammesfürste,n und die Leute haben den Mord vergessen und preisen Mohammed Ali! Von der Terrasse der Moschee aus hat man eine Aussicht, die ich für die schönste der Welt halte. Das riesige Kairo liegt einem zu Füßen, ein Wald aus Minaretten, Domen und Türmen. In der Ferne zieht der dunkle Nil seine Bahn (zur Zeit führt er Hochwasser), und die drei Pyramiden zeichnen sich scharf vor dem Hintergrund des Himmels ab. Hier haben Osiris und seine Anbeter gelebt, hier schritten Abraham und Moses einher, hierher kam Aristoteles, später lernte hier Mohammed das Beste seiner Religion und studierte das Christentum, hierher brachte vielleicht die Mutter unseres Erlösers ihren kleinen Sohn, um seine Augen für das Licht zu öffnen. Sie sind alle gegangen, aber der Nil

3. Brief: Kairo (B)

Nachdem wir uns meilenweit durch diese Straßen geschlängelt hatten, erreichten wir den Platz, auf dem die prächtige Moschee des Sultans Hassan steht, und darüber die Zitadelle. Wir wanden uns hinauf und kamen an den Palästen von Ibrahim Pascha, Nuzli Hanem (1), der Witwe des Defterdar , vorbei, bis wir zu der Moschee gelangten, mit deren Bau Mohammed Ali begonnen hatte und die immer noch nicht fertig ist, obwohl schon seine Gebeine in ihr ruhen. Sie ist von gewaltiger Größe, aber nur spärlich geschmückt, und sieht jetzt, da die Gerüste die erhabenen Türme stützen, besser aus, als es der Fall sein wird, wenn sie herausgeputzt wird wie die Drury Lane . Die zweifelhafte Frau hat immer noch Zutritt. Mohammed Alis Grab ist mit Tüchern und Teppichen bedeckt. Ich habe Leute sagen hören, daß er hätte erleben sollen, wie seine Moschee fertig wurde – so tief ist man hier gesunken. Anmerkung der Übersetzerin: 1: Khadija Nazlı (1795 – August 1860), Tochter von Muhammad Ali Pascha, verheiratet

3. Brief: Kairo (A)

Kairo,  29. November 1849 Meine liebe Familie, niemand spricht jemals von der Schönheit Kairos oder vermittelt auch nur eine leise Ahnung von dieser unübertrefflichen Stadt. Ich dachte, es sei ein Ort, an dem man Vorräte kauft und den man auf dem Weg nach Indien durchquert – stattdessen ist es die Rose unter den Städten, die Perle maurischer Architektur und der schönste Platz der Welt. Es erinnert mich immer an den Sirius – ich kann nicht sagen warum, außer daß der Sirius das hellste Licht oben am Himmel verströmt und daß Kairo den gleichen strahlenden Anblick unten auf Erden bietet. Wenn ich in kommenden Jahren den Sirius sehe, werde ich immer an Kairo denken. Oh, könnte ich nur die maurischen Straßen mit ihrem roten und weißen Marmor beschreiben, die vergitterten Balkons, aus denen kleine achteckige Schreine, ebenfalls mit Schnitzwerk in Gitterform, herausragen, damit die Damen hindurch schauen können, die unzähligen Moscheen und Minarette, die Arkaden in den Innenhöfen der Häuser

2. Brief: Eine Nacht auf dem Nil

Kairo, 27. November 1849 Meine liebe Familie, Hier sind wir nun im Begriff, unseren zweiten Schritt in den Orient zurück zu legen. Wir verließen Alexandria am 25. um sieben Uhr morgens. Wir fuhren mit einem kleinen Dampfer den Mahmoudia-Kanal hinauf und erreichten um fünf Uhr nachmittags Atfeh. Der Kanal ist völlig uninteressant und der Tag war düster. Ich fühlte mich nicht gut, also blieb ich von Alexandria bis Kairo unten. Wir waren siebzig Leute an Bord eines Schiffes, das für fünfundzwanzig gebaut war, und in Atfeh stürzten Mrs. B. und ich ohne Planke ans Ufer und rannten über das kleine Stück Land, das uns noch vom Fluß trennte, um Plätze auf der Marchioness of Breadalbane zu bekommen, die darauf wartete, uns nach Kairo zu bringen. Dann erst sah ich den feierlichen Nil fließen, als ein Strahl der untergehenden Sonne durch die dichten Wolken brach und auf das Wasser fiel. Der Wasserstand war immer noch sehr hoch und die Strömung kräftig. Sein feierliches Aussehen rührt nicht

1. Brief: Alexandria (J)

Aber dann – die Frauen! Der riesige Harem besteht aus zweihundert oder dreihundert Ehefrauen und vier oder fünf Kindern, aber sie ist weder Ehefrau noch Mutter, denn sie darf sich nicht in Anwesenheit ihres Sohnes hinsetzen, ihr Mann ist ihr Herr und Meister und ihre einzige Beschäftigung besteht darin, sich schön zu machen und die anderen zu übertreffen. Seine wirkliche Ehefrau wird sie nur, wenn ihm danach ist – sie bekommt ein Papier, auf dem steht, daß er sie für eine bestimmte Summe, ein paar Piaster, wegschicken kann. Dann ist sie zufrieden in dem Glauben, daß ihr das Tor zum Paradies offensteht – ihr, der Frau, die mehr zu leiden hat als der Mann, sowohl im Herzen als auch im Geist und Körper. Die einzige Beschäftigung der Haremsdamen – außer der Verschönerung – ist Politik, und jede Politik wird von ihren Intrigen bestimmt. Jeder Mann geht mit Geschenken zu ihnen. Aber von Artim Bey bis hinunter zum niedrigsten Kadi wird alle Politik mit Geld gemacht. Der Kadi (der Richter) be

1. Brief: Alexandria (I)

Ich wünschte mir so sehr, eine Moschee von innen zu sehen, wo meine Mitmenschen ihre Gottesdienste abhalten, daß Mr. Gilbert gutmütig zustimmte, obwohl er sagte, das habe es in Alexandria, wo die Mohammedaner fanatisch sind, noch nie gegeben. Ich bin froh, daß ich es getan habe, obwohl ich mich noch nie im Leben so unbehaglich gefühlt habe. Wir mußten ägyptische Kleidung anlegen – zunächst ein riesiges blaues Seidentuch (man steckt den Kopf durch ein Loch in der Mitte), dann ein breites weißes Tuch aus Baumwolle – man legt es über die Nase wie den Futtersack eines Pferdes und befestigt es mit einem steifen Posamentband , das zwischen den Augen, über und hinter dem Kopf verläuft wie ein Halfter –, ein weißer Schleier und zuletzt kommt das schwarze Seidengewand. Er wird mitten auf dem Kopf befestigt und hat zwei Reifen an beiden Enden, durch die man seine Arme und Beine steckt, um das Ganze zusammen zu halten. Man atmet nur durch die Augen – eine halbe Stunde länger, und es hätte eine H

1. Brief: Alexandria (H)

Ich und die Mücken kennen viele Kniffe, mit denen wir einander austricksen. Σ und Mr. B. sehen aus, als hätten sie die Pocken, aber ich – die ich in einer Gummiwanne und mit einer Talgkerze im Mund schlafen würde, wenn es empfohlen würde – schließe meine Fenster vor Sonnenuntergang und höre, wie die kleinen Biester ihre Flügel ausbreiten und dabei höllische kleine Triumphschreie ausstoßen. Dann mache ich die Tür auf und stelle ein Licht in den Flur – sie glauben, ich sei dort, und folgen dem Schein, aber ich bin nicht da – verratet es ihnen nicht. Wenn der Abend kommt, nehme ich mir einen großen Bogen Papier und fange an zu schreiben, dann glauben sie, ich dächte noch nicht an Schlaf. Aber ich breche mitten in einem Wort ab und renne so schnell wie möglich zur Levinge, wo ich mich in einem so kleinen Loch verstecke, daß man sagen würde, ein Kamel könnte durch ein Nadelöhr gehen. Dann falte ich die Hände und singe ein kleines Lied zu Ehren von Merkur , dem Gott des Diebstahls, denn ich

1. Brief: Alexandria (G)

Wir besuchten die Katakomben , die verglichen mit denen in Rom eine Farce sind, und die Pompeiussäule. Unser Weg führte über einen großen häßlichen Friedhof, und mir war, als kämen wir an das Ende der Welt. Der Boden war nicht bepflanzt, sondern mit kleinen, weißen runden Haufen Lehm übersät, darin steckten ein Stein und eine vertrocknete, kein bißchen grüne Aloe. Oft sind die Gräber nur Steinhaufen, die besten waren zwei weiße Platten. Eine einsame Gestalt stand mit gefalteten Händen, das schwarze Gewand über den Kopf gezogen, inmitten dieser Trostlosigkeit. Daß es keine Friedhofsmauer gibt, sondern die Grabsteine sich in alle Richtungen erstrecken, macht den Anblick frappierend, und die Pompeiussäule wirft ihren unermeßlichen Schatten auf die Ebene. Eines Tages fuhren wir zum Schauplatz der Schlacht von Abukir – eine öde Wüste aus weißem Sand und weißen Steinen, in der Ferne eine dürftige Reihe Palmen, im Vordergrund die verfallenen Mauern von Nicopolis, erbaut von Augustus. Die S

1. Brief: Alexandria (F)

24. November. Gestern haben wir unseren ersten Eselritt zu den Katakomben gemacht, aber Eselritte sind in Ägypten etwas ganz anderes als andernorts. Der Esel ist sehr klein und man selbst ist sehr groß (die Ägypter sind ein sehr kleines Volk) und sitzt auf seinem Schwanz. Da er den Kopf sehr hoch trägt, sieht es aus, als wolle man ein Gegengewicht zu seinem Kopf bilden. Nach dem Aufsitzen – dafür schlingt man das rechte Bein um den Sattelknauf (es sind Herrensättel) – geht es in vollem Galopp los und man überrennt alles, was sich einem in den Weg stellt, und das fröhliche kleine Geschöpf läuft und läuft wie ein Fahrrad. In Alexandria gibt es nichts zu besichtigen außer dem Großen Platz, der größer ist als alle Plätze in London, und die Hütten der Alexandriner, die aussehen wie ein riesiger Ameisenhaufen. Die Hütte besteht immer nur aus einem Zimmer und ist etwa acht oder neun Fuß breit (die Wände sind nach vorn verlängert, um eine Art Alkoven zu bilden), ungefähr sechs Fuß hoch, und w

1. Brief: Alexandria (E)

Es gibt hier nicht viel zu sehen, nichts außer dem ewigen Gefühl, im Orient zu sein, die östlichen Farben und die Atmosphäre des Morgenlands. Am Gedenktag Unserer Lieben Frau in Jerusalem gingen alle Kinder aus der Klosterschule der Vinzentinerinnen zu einer Kindermesse und sangen – es war so schön! All die Trachten, die der Levantiner, der Smyrnioten, der Malteser, der Ägypter – Menschen aller Nationen und Sprachen waren vereint in der Anbetung Gottes. Auch viele der Mütter waren anwesend. Die Felder sind natürlich in diesem reichsten Land der Erde unbestellt. Wenn der Nil nicht alle Arbeit täte, wäre die Armut, die ohnehin schon groß ist, von ungeheurem Ausmaß. Aber die Ägypter sind sehr bescheiden – sie brauchen fast nichts zum Leben. Wenn sie nicht so ein friedliches Volk wären, könnte die Regierung keinen Augenblick weitermachen. Jeder Kadi gewährt dem Meistbietenden das gewünschte Urteil, allen scheint es erlaubt zu sein, jeden anderen auspeitschen zu lassen, und kein Konsul,

1. Brief: Alexandria (D)

Hier wimmelt es von katholischen Ordensschwestern und Lazaristen, Anhängern der griechisch-orthodoxen Kirche, der armenischen Kirche, muslimischen Mullahs und protestantischen Waldensern – Alexandria, die Kosmopolitin! Über die Architektur der Stadt gibt es nichts zu sagen. Alles ist in einem schrecklichen Zustand. Jeder Mann ist zum Militärdienst verpflichtet, und manche Mütter stachen ihren Kindern das rechte Auge aus, hackten ihnen die Zeigefinger ab oder machten sie lahm, um sie davor zu bewahren, eingezogen zu werden. Zuletzt hatte Mohammed Ali , der zu gerissen für sie war, ein einäugiges Regiment, das die Muskete über der linken Schulter trug. Die Zahl einäugiger Männer, die man hier sieht, ist entsetzlich. Ich habe meine Zeit sehr angenehm verbracht, weil ich mit zwei Schwestern vom Orden Vincenz de Paul von Paris nach Auxerre gereist bin, die mir viel über die Schwestern hier erzählt haben, und ich habe ihren prächtigen Schulen und Misericorde viele lange Besuche abgestatt

1. Brief: Alexandria (C)

Ihr könnt Euch auch nicht vorstellen, mit welcher Ungeduld man darauf wartet, an Land zu gehen, wenn man acht Nächte an Bord verbracht hat – auf einem überfüllten Dampfer, bei – ich glaube es wirklich – fünfzig Grad in unserer Kabine. Die Männer tranken von morgens bis abends Punsch, und die Frauen kicherten und schwatzten. Natürlich gibt es bei all der Schönheit auch Schattenseiten. Die Moskitos sind schon jetzt (um sechs Uhr morgens) eine solche Plage, daß ich von den Leichen derer umgeben bin, die ich in einer einzigen Schlacht erschlagen habe. Gestern abend trieb uns der schwere Tau noch vor Sonnenuntergang nach Hause. Aber das ist ein geringer Preis für die Herrlichkeiten des Orients. Ich wünschte, ich könnte die Leute in dem armenischen Garten beschreiben – eine kleine Gruppe von Kindern an der Pforte, die ihr Abendessen (Bohnen in einer flachen Schale) verzehrten. Sie schlangen es nicht hinunter und bekleckerten sich auch nicht wie europäische Kinder, sondern verhielten sich wi

1. Brief: Alexandria (B)

Vor neun Uhr waren wir an Land und machten uns auf den Weg zum Großen Platz (1) – im Omnibus, denn es war schon zu heiß zum Gehen. Um zehn Uhr hat uns Mr. Gilbert (2) in unserem Innenhof besucht, er hat uns schon einen Janitschar angeheuert (der alles für uns tut) und uns alles gegeben, was man sich wünschen kann. Nachdem wir unser Gepäck vor den umher eilenden Eingeborenen gerettet hatten, baten wir als erstes unseren Janitschar, Ali – eine sanftmütige und doch respekteinflößende Erscheinung (ich wage kaum, ihn anzusprechen) –, uns den Weg zu den Bädern zu zeigen. Nach einem langen Marsch kamen wir zu einer Pforte, durchschritten eine Allee aus Dattelpalmen, Bananenstauden und Petunien, überdacht von einem Gitter, und erreichten ein langes, niedriges Gebäude mit römischen Thermen und niedrigen Bogengängen (gegen die Hitze), die miteinander verbunden sind. Ägypter saßen dort und verzehrten ihre Mahlzeit aus Obst. Sie gaben uns jeweils ein Stück prächtiger ägyptischer Seife, eingewick

1. Brief: Alexandria (A)

Alexandria, 19. November 1849 Ja, meine liebe Familie, ich habe zum ersten Mal den Orient den betreten und – oh! Könnte ich nur die Welt der alten Dichtung, der biblischen Bilder, des Lichts und des Lebens schildern, die sich bei diesem Wort auftut! Mein erster Tag im Orient – er war überwältigend, und ich werde ihn bis in alle Ewigkeit nicht vergessen. Ich schreibe am Montagmorgen bei Kerzenlicht, weil ich gestern bei der Ankunft keinen Augenblick Zeit hatte. Man ist überrascht, daß es hier überhaupt Dunkelheit gibt – in diesem Land der Wärme, des Lichts und des Lebens. Wir hatten eine phantastische Fahrt von Malta aus – neunzig Stunden, und es wäre noch schneller gegangen, wenn wir nicht gezwungen gewesen wären, etwas langsamer zu fahren, um nicht vor Tagesanbruch an den gefährlichen Syrten zu landen. Isis hieß uns mit einem feinen silbernen Halbmond in ihrem Land willkommen, und um halb fünf gingen wir an Deck und sahen im klaren milden Sternenlicht zu, wie die Venus aufging und

Florences Nightingales Briefe aus Ägypten

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Florence Nightingale (1820 - 1910) ist berühmt für ihre Pionierarbeit in der Krankenpflege. Weniger bekannt sind dagegen ihre Reiseberichte. Im Oktober 1849 brach die damals 29jährige Nightingale gemeinsam mit ihren Freunden Selina (1800 - 1874) und Charles Bracebridge (1799 - 1872) nach Ägypten auf. Ihre Letters from Egypt erscheinen erstmals auf Deutsch, verwendet wurde ein Faksimile der Ausgabe von 1854 . Einige Ansichten der Autorin werden auf den heutigen Leser befremdlich wirken; im Interesse der Authentizität wurden sie jedoch nicht gestrichen oder gemildert. Inhaltsverzeichnis: 1. Brief: Alexandria 2. Brief: Eine Nacht auf dem Nil 3. Brief: Kairo - Die Wüste - Kairo 4. Brief: Auf dem Nil 5. Brief: Ein afrikanisches Dorf - Grausamkeit der Polizei - Der armenische Gouverneur - Unsere Mannschaft - Kairo vom Nil aus 6. Brief: Die Schönheit des Nils 7. Brief: Die Wüste von Scheich Hassan - Der Schrecken der Wüste - Der Nil 8. Brief: Beni Hasan - Die prosaische Schönh